Diplomatie

Impfstoff-Umverteilung: Kurz in der EU isoliert

Kanzler Sebastian Kurz mit Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet
Kanzler Sebastian Kurz mit Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin LaschetAPA/dpa/Michael Kappeler
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Österreich hat laut mehreren europäischen Diplomaten keine Chance darauf, mehr als bereits zugeteilte BioNTech-Pfizer-Dosen zu bekommen. Der Kanzler blockiere einen Korrekturmechanismus für osteuropäische Länder, es drohe eine Eskalation am kommenden EU-Videogipfel.

„Damit hat er sich wirklich keine Freunde gemacht": dieses Einschätzung der Forderung von Bundeskanzler Sebastian Kurz nach zusätzlichen Impfstoffdosen für Österreich stammt von einem europäischen Diplomaten, der seit Jahren eine verlässliche Quelle für „Die Presse“ ist. Seine Einschätzung der Lage drei Tage vor dem Europäischen Rat am Donnerstag ist pessimistisch: „Zu versuchen, zusätzliche Dosen für Österreich zu bekommen, wird von den anderen als unziemlich gesehen“, sagte der Diplomat.

Es gebe große Bereitschaft, jenen osteuropäischen Ländern zu helfen, die aus finanziellen und logistischen Gründen fast ausschließlich auf das Produkt von AstraZeneca gesetzt hatten und angesichts des Lieferversagens des britisch-schwedischen Herstellers in ihren Impfkampagnen weit zurückliegen. „Das ist ein echtes Problem für Bulgarien, Lettland, Estland, die Slowakei, Kroatien. Niemand ist dagegen, ihnen zu helfen. Aber niemand macht auch nur einen Versuch, Österreichs Anliegen anzusprechen, weil es nicht als angemessen angesehen wird. Es ergibt absolut keinen Sinn, dass Österreich sich dieser Gruppe von Staaten zurechnet.“ Die „Financial Times“ hatte ebenfalls am Montag über die Isolation Österreichs in dieser Frage berichtet.

„Österreichs Argumentation unverschämt"

Schon am Freitag hatte ein Diplomat eines anderen europäischen Landes, der ebenfalls seit fast einem Jahrzehnt zu den besten Quellen der „Presse“ zählt, seine Skepsis über das Vorgehen des Kanzlers geäußert. „Ich denke, es könnte eine Bereitschaft geben, jenen Ländern zu helfen, die wirklich in Notlage sind“, sagte er damals. „Aber Österreich? Da bin ich mir nicht sicher. Ihre Argumentation und ihr Vorschlag waren unverschämt.“

Kurz hatte vergangene Woche gemeinsam mit den Regierungschefs von Bulgarien, Tschechien, Slowenien, Kroatien und Lettland eine Korrektur der Verteilung gefordert, obwohl die Beschaffung aus den Vorverträgen der EU im Verantwortungsbereich der einzelnen Regierungen gelegen war. Bulgarien etwa, das derzeit über die geringste Menge an Impfstoffen entsprechend der Einwohnerzahl verfügt, hatte zu Beginn der EU-Impfkampagne auf Impfstoffe von Pfizer/Biontech freiwillig verzichtet. Auch Österreich schöpfte seinen Anteil nicht völlig aus.

Nachdem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erreicht hatte, zehn Millionen Dosen des Impfstoffs von Pfizer/Biontech früher zu erhalten, schlug sie vor, diesen als Ausgleich zu verwenden. Allerdings braucht es dazu eine Zustimmung aller EU-Regierungen. Und hier blockiert Österreich. Deutschland hatte vorgeschlagen, zwei Millionen der vorgezogenen zehn Millionen Dosen an die Nachzügler umzuverteilen. Das habe Österreich abgelehnt. Nun liegt der Vorschlag von 30 Prozent auf dem Tisch. Österreich sperre sich allerdings auch diesem Vorschlag. Denn an die Republik soll keine Dosis gehen, die über jenen rund 200.000 liegt, die ihm gemäß seiner Bevölkerungsgröße zustehen. Ein oder zwei informelle Treffen der EU-Botschafter in Brüssel seien bis zum Gipfel noch geplant. Zudem würden auch die Sherpas, also die europapolitischen Berater in den Kabinetten der Staats- und Regierungschefs, sich um eine Lösung bemühen.

Andere EU-Staaten bereit zum Verzicht auf Dosen

Doch die beiden Gesprächspartner der „Presse“ sind pessimistisch. Der Streit dürfte auf dem Tapet des Gipfels landen. „Kurz braucht das offenbar“, sagte einer der Diplomaten. „Alle sind ziemlich sauer auf ihn. Er hat sich da klar überhoben."

Dabei wären andere Mitgliedstaaten sogar bereit, auf einen Teil ihrer zugeteilten BioNTech-Pfizer-Dosen zugunsten der Nachzügler zu verzichten: „Manche werden von diesen zehn Millionen Dosen Abstriche hinnehmen müssen.“ Dabei handle es sich in erster Linie um Dänemark, Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden: jene Staaten, die konsequent alle ihnen zustehenden Möglichkeiten, Impfstoffe zu bestellen, in Anspruch genommen haben.

Der innenpolitische Aspekt der Attacke des Kanzlers auf die Impfstoffstrategie der EU ist im Ausland nicht verborgen geblieben: „Wenn er seinem grünen Koalitionspartner eins auswischen will, sollte er es nicht auf Kosten der Glaubwürdigkeit der EU machen“, ärgerte sich einer der Diplomaten.

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