Der junge Sebastian Kurz stört die älteren Herren

(c) Peter Kufner
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Was die Bücher von Ex-ÖVP–Chef Reinhold Mitterlehner und Ex-„Kurier“-Herausgeber Helmut Brandstätter gemein haben.

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Ältere Männer am Ende ihrer Karriere rechnen ab, in Buchform. Die Tapferkeit, mit der sie auf ungeliebte Personen zielen, gründet auf der Tatsache, dass die Gescholtenen nicht mehr in die Karriere, die vor den Autoren liegt, eingreifen können. Die PVA rächt nicht, sie zahlt aus. Das Buch „Haltung“, von Reinhold Mitterlehner und das Buch „Kurz & Kickl“ von Helmut Brandstätter, sind diese Art von Prosa. Sebastian Kurz stört die Herren.

Die Bücher unterscheiden sich durch das Ibiza-Moment: davor und danach geschrieben. Ibiza war der exhibitionistische Zug zweier Politiker, die eigene Dummheit besonders drastisch zur Schau zu stellen. Sie hätten alles aufgeboten, was in der Republik nicht niet- und nagelfest war, um an das Geld der „Russin“ zu kommen, ohne nur die geringste Ahnung zu haben, dass wegen des strengen rechtlichen Kontrollregimes der Banken zur Geldwäscheprävention nicht ein Cent nach Österreich überwiesen werden kann, ohne den gelungenen Nachweis einer untadeligen Herkunft. Wissens- und gewissenlos die zwei. Nicht einmal den Gedanken an eine Rückkehr sollte die Partei zulassen, um nicht als unwählbare Ansammlung von Dummköpfen dazustehen.

Mitterlehners trübes Selbstbild

Österreichs ehemalige Vizekanzler Mitterlehner schildert in „Haltung“ ausführlich, wie der illoyale und machtgierige Sebastian Kurz ihn als Parteichef von langer Hand geplant ausgehebelt hat. Seine Eigenwahrnehmung ist freilich getrübt. Im Buch wird verschwiegen, dass er selbst Angriffe auf seinen Vorgänger Michael Spindelegger in unappetitlicher Form lanciert hat, etwa beim Forum Alpbach im August 2012.

Im Buch kommt nicht vor, dass der Zeitpunkt seines Rückzugs wohl gewählt gewesen ist, weil sein Abfertigungsanspruch gegenüber der Wirtschaftskammer als Generalsekretärstellvertreter – er war karenziert – wahrscheinlich die volle Höhe eines Jahresbezugs erreicht hat. Er war ein Glücklicher, der ohne Risiko, abgesichert durch die Kammer, Politik üben durfte und ein Pensionsprivileg hat. Er war ein Vertreter einer Partei, die wegen ihrer Struktur jeden Parteiobmann zum Scheitern brachte. Er hat nichts dagegen unternommen, außer sich beim Parteitag in Linz 2017 mit einem finalen Lamento zu verabschieden. Sebastian Kurz hat die Partei umgekrempelt, mutig und zielgerichtet, und wozu sollte er gegenüber einem kaputten, unwählbaren Verein irgendeinen Loyalitätsgedanken hegen?

In dem Buch wird vieles sonnig beschrieben, etwa, dass er Hans Jörg Schelling als großartigen Finanzminister in die Regierung geholt hätte. Der Mann hat sich vom Paulus zum Saulus gewandelt. Zuerst hat er als Geschäftsführer einer großen Möbelkette ein Steuermodell mitinitiiert, das den Staat mindestens 100 Mio. Euro gekostet hat. Sein Ausscheiden mit einer Abfindung jenseits von 100 Mio. Euro wurde offenbar ebenfalls steueroptimiert ausbezahlt. Anfragen dazu hat er nie beantwortet. Als Politiker zeichnete er für eine völlig überzogene Registrierkassenpflicht für die kleinsten Unternehmer verantwortlich, die unnötigerweise schon bei einer Umsatzhöhe greift, für die es gar keine Umsatzsteuerpflicht gibt. Der Steueroptimierer liebte die Jagd auf Kleinstunternehmer. Mitterlehner hat die rigorose Vorgangsweise im Parteivorstand der niederösterreichischen Volkspartei damit begründet, dass nach den Voodoo-Berechnungen der EU-Kommission der Umsatzsteuerausfall durch Hinterziehungen rund drei Mrd. Euro ausmachen würde. Zu diesem Blödsinn natürlich auch kein Wort im Buch.

Brandstätters blinde Flecken

Ex-„Kurier“-Herausgeber Helmut Brandstätter stellt Sebastian Kurz als jemanden dar, der die Medien rigoros kontrollieren will, und schreibt eine Erzählung über einen Weg in Richtung autoritären Staates. Er beklagt die Interventionen der Regierenden und tut so, als hätte es solche vor Antritt der türkis-blauen Regierung nie gegeben.

In Österreich gab es den Versuch politischer Einflussnahme auf Medien immer schon. Werner Faymann hat sich mit dem schon verstorbenen Gründer der immer noch größten Tageszeitung des Landes so verbrüdert, dass sogar das Gerücht entstanden ist, er wäre sein uneheliches Kind. Derselbe Politiker hat als Minister so einseitig Inseratenaufträge an bestimmte Medien vergeben, dass eine Befragung in einem Untersuchungsausschuss im Raum gestanden ist. Nur ein politischer Tausch, keine Aussage im Untersuchungsausschuss gegen die Rettung der günstigen steuerlichen Pauschalierungsvorschriften für die Landwirte, hat zum abrupten Ende des Ausschusses geführt. Das alles weiß auch der Autor, war und ist er doch mit Faymann befreundet. Warum dann die Medienstrategie von Kurz so anders und verwerflich sein soll, weiß er selbst nicht. Hauptsächliche Zielscheibe in dem Buch ist Ex-Innenminister Herbert Kickl. Die Vorwürfe sind lang, von der BVT-Affäre bis zum Putschversuch. Was Brandstätter jedoch völlig beiseitelässt, ist die Frage, warum die FPÖ so stark wurde. Es war die Krise des Jahres 2015, die von vielen als völliges Staatsversagen wahrgenommen wurde.

Wenn unkontrolliert mehr als eine Million Menschen durch Österreich ziehen, ohne sich ausweisen zu müssen, selbst auf eine europarechtlich zwingende Erfassung der Fingerabdrücke verzichtet wurde (Art 14 VO [EU] 603/ 2013), dann hat der Staat eine seiner grundsätzlichen Aufgaben, nämlich festzustellen, wer sich auf dem Staatsgebiet aufhält, nicht erfüllt. Dieses Versagen wurde im Wahlkampf in Wien 2015 bewusst von den Politikern verstärkt, um „Menschlichkeit“ als Gegensatz zur „rechten Law-and-Order-Politik“ darzustellen. Und Brandstätter war Beitragstäter mit seinen Kommentaren.

Den politisch herbeigeführten Kontrollverlust des Staates zu korrigieren war die Politik von Herbert Kickl. Überschießende Aktionen, wie etwa die BVT-Affäre, die – sagen wir es nett – der untaugliche Versuch einer unfreundlichen Übernahme einer für ihn politisch unpassend gefärbten Abteilung war, sind scharf zu kritisieren. Deshalb ist der Staat noch nicht autoritär. Unverhältnismäßig autoritär hingegen agiert der Staat, wenn es um den Kampf gegen Steuerhinterziehung geht. Man frage nur die Wirte, wie es ihnen geht, wenn der Betrieb von Finanzpolizisten umstellt und zwei Stunden Durchsuchung geübt wird, die Gäste angehalten werden und sich gelegentlich zum „Fotografieren“ an die Wand stellen mussten. Aber so geht „gerechte“ Politik, die die Zahlen unverhältnismäßig mit allen möglichen Nachweispflichten drangsaliert; von jenen, die man dann aushalten musste, wollte man nicht einmal den Namen wissen.

Helmut Brandstätter hat ein eigenartiges Weltbild, das sich etwa darin zeigt, dass er viele Jahre Politiker angegriffen hat, die sich zu seinem erklärten Feind Wolfgang Fellner ins oe24.at-Studio gesetzt und Interviews gegeben haben. Nun inszeniert er sich im Wahlkampf dort selbst. Ob seine Kandidatur bei den Neos dieser Partei hilft, werden die Wähler entscheiden.

Der Autor

Gottfried Schellmann (* 1953) ist Steuerberater in Wien und Experte für internationale Unternehmensbesteuerung, Lektor an der FH Campus Wien und der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Verfasser verschiedener Fachbeiträge zum internationalen Steuerrecht sowie zum Zoll- und Umsatzsteuerrecht. Bis Ende 2014 Vizepräsident der CFE (Confédération Fiscale Europeénne) in Brüssel.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2019)

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