Die Welt bis gestern: Nur Heinz Conrads hatte es besser

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ORF: Die Begehrlichkeit der Parteipolitiker hat Tradition seit 1924.

Die Radiosendung hieß „Autofahrer unterwegs“. Tag für Tag pünktlich nach dem 12-Uhr-Glockengeläute. 15.153-mal wurde sie ausgestrahlt. Von 1957 bis zum 5. April 1999. Und ähnlich wie Heinz Conrads wurden die 14 Sprecher zu guten Bekannten, zu Familienangehörigen. Louise Martini und Emil Kollpacher machten den Anfang, Walter Niesner und Rosemarie Isopp – sie wurden Legenden. Brigitte Xander, der kürzlich verstorbene Wirbelwind, Günther Frank, der perfekte Peter-Alexander-Verschnitt, Günther Bahr – sie haben sich als „Autofahrer unterwegs“ ihr Plätzchen am Radiohimmel gesichert. Nicht zu vergessen Kurt Votava, der eine Publikumssendung so ankündigte: „... mit Professor Rosemarie Isopp, Professor Walter Niesner, es spielt Professor Norbert Pawlicki. Karten kriegen Sie beim Portier des Funkhauses. Der ist wahrscheinlich auch scho' Professor. . .“

Nur ein kurzer „Watschentanz“

So wie auch der Publikumsmagnet Heinz Conrads vermied diese Livesendung großräumig jegliche Parteipolitik. Das war ihre Überlebensgarantie. Doch nicht überall schaute die Politik dem Rundfunk so lammfromm zu. Großkoalitionäre haben wenig Humor, vor allem dann nicht, wenn er auf ihre Kosten geht. Und so hatte der „Watschenmann“ , die sonntägliche Radiokabarettsendung, einen erheblich schwereren Stand. Im Oktober 1954 ging der „Watschenmann“ erstmals auf Sendung, das Team nahm sich kein Blatt vor den Mund: Walter Davy, Peter Weiser und Jörg Mauthe konnten die Unsäglichkeiten der Koalitionsregierung ungeniert auf die Schaufel nehmen, weil Österreich noch unter Aufsicht der vier alliierten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs stand.

Doch kaum war Österreich 1955 frei, wurde der „Watschenmann“ geknebelt. Der neue Programmdirektor Rudolf Henz, ein alter Herr, der schon im Ständestaat katholischer Schriftsteller war, gab dem Druck von Schwarz und Rot bald nach. Ende 1955 hielt er zur Einstellung der einzigen wirklich pfiffigen Sendung einen „Nachruf“, den die Redaktion geradezu als Hohn empfand – und der wohl auch Henz eher peinlich war.

Der Portisch-„Kurier“ begehrt auf

Der „Kurier“, der den Kabarettisten dann als Kolumnisten einen Platz in der Zeitung einräumte, ließ sich diese Zensur nicht gefallen. 130.000 Unterschriften sammelte die Redaktion gegen den Tod des „Watschenmanns“. Aber so weit war die Meinungsfreiheit noch nicht in Österreich.

Im Gegenteil: Der Proporz feierte fröhliche Urständ. Jeden zweiten Samstag hatte zur Mittagsstunde die „Sendung des Bundeskanzlers“ ihren fixen Platz– und dazwischen jeweils die „Sendung des Vizekanzlers.“ Oft mundete das Essen im Familienkreis besonders gut, weil das Ganze unfreiwillig komisch wirkte.

„Als ich zur Ravag kam, war ich entsetzt über den unglaublichen Apparat von Liebedienern und Verbeugern“, erinnert sich der spätere Generalintendant Teddy Podgorski. Im Jahr 1963 erreichte die Selbstbedienung durch die beiden Großparteien ihren absoluten Höhepunkt. Weil man ja miteinander regieren musste, räumte man einander ein „Vetorecht“ bei unliebsamen Sendungen ein. Das entsprach durchaus dem Gusto der Parteisekretäre. Und so verankerte man im Koalitionsabkommen fünf „Proporzkommissare“, also parteimäßig punzierte Spitzenkräfte, die die „Ausgewogenheit“ jeder Sendung zu überwachen hatten. Widrigenfalls hatte die zu kurz gekommene Partei Anspruch auf eine „Ausgleichssendung“ innerhalb von drei Wochen . . .

Das erste Volksbegehren

Die 830.000 Unterschriften unter das erste österreichische Volksbegehren gegen die Verpolitisierung des Rundfunks (1964) tangierten die Großparteien in keiner Weise. Die Koalition schleppte sich noch mühsam bis 1966 über die Runden, dann trat die ÖVP-Alleinregierung ihr Amt an. Und das ORF-Gesetz 1967 befreite für ein paar Jahre den Rundfunk aus der Umklammerung durch die Parteisekretariate. Gerd Bacher reanimierte sofort den „Watschenmann“, die Sendung lief dann wieder vom Mai 1967 bis zum Juni 1975.

Ganz ohne Parteipolitik ging freilich auch die Kür des neuen, des ersten Generalintendanten des ORF im Jahr 1967 nicht über die Bühne. Dazu war der Posten zu wichtig. Die Favoriten hießen Gerd Bacher, damals 41 Jahre, Geschäftsführer des Molden-Verlages; Peter Weiser, ein allseits bekannter Kulturmanager, und Wilfried Scheib, der für sich ins Treffen führen konnte, aus dem Rundfunk zu kommen. Am 7. März 1967 bat der amtierende VP-Bundeskanzler Josef Klaus den wahrscheinlichen neuen SPÖ-Oppositionsführer Bruno Kreisky zu sich, um einen gemeinsamen Kandidaten zu küren. Kreisky hatte alle drei bereits „examiniert“ – man fand keine Einigung. Doch der neue Aufsichtsrat hatte eine klare ÖVP-Mehrheit: zwölf zu sechs von der SPÖ und einem von der FPÖ. So setzte schließlich Klaus über den Aufsichtsratsvorsitzenden, seinen Exstaatssekretär Otto Kranzlmayr, Bacher im zweiten Wahlgang durch.

Aufbruch zu neuen Ufern

Podgorski: „Der Rundfunk hat immer den Parteien gehört – mit Ausnahme der Jahre 1967 bis 1974. Da wurde er Gerd Bacher als Lehen übertragen.“ In seiner ersten Ansprache an die ORF-Mitarbeiter dekretierte der neue Mann euphorisch: „Mehr als zwanzig Jahre hindurch war der Rundfunk Prügelknabe der Parteipolitik, Objekt und nicht Subjekt der innenpolitischen Wirklichkeit. Die Zeiten, in denen sich jeder nach Bedarf an diesem Unternehmen abputzen konnte, sind nun vorbei ... Heute beginnt etwas völlig Unverwechselbares, Neues: Zum ersten Mal ist der Österreichische Rundfunk unabhängig von Besatzungsmächten und Parteien!“ Ein Irrglaube, wie sich nach Bachers Abgang bald zeigte. Er sollte noch zweimal für je eine Amtsperiode auf den Küniglberg zurückkehren. Aber das ist eine andere Geschichte.

DER RUNDFUNK: OHNE PARTEIPOLITIK LÄUFT GAR NICHTS

Am 24. Juli 1924 wurde die „Radio-Verkehrs-AG“ (Rawag) vom Grazer Privatmann Dr. Oskar Czeija gegründet. Aber das Stammkapital (400.000 Schilling) wurde über die Politik aufgebracht: 20,25 % vom Handelsministerium, 20,25 % von der Gemeinde Wien (via Gewista), 20,25 % vom Land Steiermark und 21,25 % vom Österreichischen Creditinstitut, der Rest von einer privaten Anzeigenagentur. Der Aufsichtsrat bestand aus sieben (parteipolitisch austarierten) Personen, das Präsidium aus drei Parteivertretern: einem Sozialdemokraten, einem Christlichsozialen, einem Großdeutschen.

Nach 1945 wurde der Rundfunk bis zum Staatsvertrag 1955 von den Besatzungsmächten kontrolliert.

Ab 1957 war die „Österr. Rundfunkgesellschaft mbH.“ der Rechtsträger. Die Politik mischte kräftig mit: 97,3 % gehörten dem Bund als Gesellschafter, 2,7 % den Ländern. Der vierköpfige Vorstand setzte sich aus zwei ÖVP- und zwei SPÖ-Vertretern zusammen.

Am 1. Jänner 1967 entstand aufgrund des neuen Rundfunkgesetzes der privatrechtliche ORF (1. Amtsperiode Gerd Bacher).

1974 wurde stattdessen die öffentlich-rechtliche Anstalt ORF gegründet. Unabhängigkeit und öffentlicher Auftrag des ORF erhielten Verfassungsrang. Die Alleinverantwortung des Generalintendanten wurde auf Wunsch der SPÖ wieder abgeschafft.

Derzeit ist der ORF eine Stiftung des öffentlichen Rechts. Er ist, „soweit seine Tätigkeit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgt“, nicht auf Gewinn gerichtet. (BGBl. I Nr. 52/2007 ab 1. 8. 2007).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2008)

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