Inseratenaffäre

Kern über Kurz-Chats: "Der Umgangston ist entlarvend"

Archivaufnahme von Christian Kern
Archivaufnahme von Christian Kern(c) Clemens Fabry, Presse
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„Es war 2017 schon völlig klar, dass die ÖVP mit gezinkten Karten spielt“, sagt der frühere SPÖ-Kanzler Christian Kern. Von den publik gewordenen Chats über angeblich geschönte Umfragen will er sich „nicht ablenken lassen“.

Was haben Christian Kern und Heinz-Christian Strache gemein? Beide waren in einer Koalition mit Sebastian Kurz (ÖVP). Während Kern von Mai 2016 bis Dezember 2017 für die SPÖ den Posten des Bundeskanzlers innehatte, fungierte Kurz als Außenminister. Als Strache für die FPÖ von Dezember 2017 bis Mai 2019 das Amt des Vizekanzlers ausfüllte, war Kurz Regierungschef. Und noch etwas eint die beiden: Sowohl Strache als auch Kern meldeten sich zu Kurz' Rücktritt als Kanzler zu Wort und gaben sich davon kaum überrascht.

„Was Kurz gesät hat, hat er geerntet. Es gibt so etwas wie Karma", sagte Strache am Montag auf „puls24". „Es war eine Sabotage von der ersten bis zur letzten Minute“, meinte hingegen Kern am Mittwoch im „Falter“.

Lob für Länderchefs, „Kollaps" in Medienlandschaft

Seit jeher sei „Kurz’ Ziel die Kanzlerschaft und die Zerstörung der SPÖ gewesen“, führte Kern aus. Um dieses zu erreichen habe er Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Obmann „aus dem Weg geschafft“ und sich nicht an seine Abmachung gehalten, verwies Kern auf seinen im Jänner 2017 präsentierten „Plan A“. Kurz wie auch die übrigen Mitglieder der damaligen rot-schwarzen Koalition sollten diesen als Basis für ein neues Regierungsprogramm unterschreiben. Kurz tat es, jedoch sei seine Unterschrift „null und Nüsse wert“ gewesen, „weil die Politik der Zerstörung in der Woche danach schon wieder weitergegangen ist“, kritisierte Kern.

Lob gab es von Kern indes für die ÖVP-Landeshauptleute: „Mit denen ist man vielleicht da oder dort nicht einverstanden, aber das sind lupenreine demokratische Politiker“, meinte er. „Die werden sich Gedanken machen, vor allem über diesen Umgangston (in den Chatnachrichten von Kurz und seinen Vertrauten, Anm.), weil der ja entlarvend ist: die alten Deppen, die Fäkalsprache gegenüber dem Vizekanzler, gegenüber Landeshauptleuten.“ Zur Inseratenaffäre konkret gefragt (ab 2016 sollen geschönte Umfragen auf Steuerzahlerkosten erstellt und verbreitet worden sein, wobei Kurz und alle übrigen Beschuldigten das bestreiten), meinte Kern: „In Wahrheit stehen wir heute vor einem echten moralischen Kollaps von weiten Teilen der Medienlandschaft.“ Ein Teil „war gekauft, ein anderer Teil hat sich eine bestimmte Politik gewünscht“, sagte er.

Dass es in gewissen Umfragen „gravierende Abweichungen“ dazu gab, „was wir selber an Daten hatten“, sei ihm damals schon aufgefallen, meinte Kern. Und: „Es war 2017 schon völlig klar, dass die ÖVP mit gezinkten Karten spielt, schummelt und betrügt, was die Wahlkampfbudgets betrifft. Das hat man ja gesehen, wenn man sich die Plakate und die Social-Media-Aktivitäten der ÖVP angeschaut hat. Das war schon ein sehr ungleicher Wettbewerb.“ 

Die SPÖ habe den Weg der Reform der Inseratenvergabe einschlagen wollen, betonte Kern, räumte aber zugleich ein: „Die SPÖ war nicht unschuldig, solche Sitten zu akzeptieren, und das ist bis heute der Fall. Das war ein Kardinalfehler, auch meiner Partei.“  Aber: „Lassen wir uns nicht von den Umfragen ablenken. Das ist der Zipfel, den die Staatsanwaltschaft jetzt in die Hand bekommen hat.“ Tatsächlich habe man es aber mit einem System zu tun, „das aufgebaut worden ist – es geht um Manipulation der Medien, Umfragen und vor allem um die Unterwanderung der staatlichen Institutionen“.

Kontakt mit Reinhold Mitterlehner?

Angesprochen auf mögliche Neuwahlen, die sich in der Folge der nun aufgekommenen Affäre ereignen könnte, meinte Kern, er habe „keine Insights“ in die SPÖ mehr, könne also zum Thema rote Spitzenkandidatur nichts sagen. Nur so viel: „Gewinnen wäre gut."

Konkreter dagegen seine Antwort auf die Frage: Wann er zuletzt mit seinem einstigen Vizekanzler, Reinhold Mitterlehner (ÖVP) Kontakt hatte? „Mittwoch natürlich: Wir beide waren uns eh einig, was die Einschätzung betrifft. Also insofern war das eher ein Gespräch: 'Hast schon gesehen?' – 'Jo eh. Haben wir uns eh ­gedacht, ja.' – 'Haben wir gewusst. Danke.'“ 

Auf einen Blick

Im Mai 2017 wurde Sebastian Kurz zum Parteiobmann der Bundes-ÖVP gewählt. Bei der vorgezogenen Nationalratswahl im Oktober trat er unter dem Namen „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“ an, holte für die Volkspartei den ersten Platz und wurde in der Folge zum bisher jüngsten Bundeskanzler Österreichs angelobt.

Am 18. Mai 2019 beendete Kurz nach der „Ibiza-Affäre“ die Koalition mit der FPÖ. Am 27. Mai wurden er und sein Kabinett in einem Misstrauensvotum des Nationalrats abgesetzt. Es folgten abermals vorgezogene Neuwahlen, aus denen Kurz erneutals Sieger hervorging. Neuerlich wurde er Kanzler - diesmal einer türkis-grünen Koalition. 

Am 9. Oktober 2021 kündigte er nach Vorwürfen der Untreue und der Beihilfe zur Bestechlichkeit seinen Rücktritt als Kanzler an. Am 11. Oktober enthob ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen offiziell des Amtes. Kurz bleibt dennoch Bundesparteichef der ÖVP - und wird Klubobmann.

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(hell)

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