Asylwerber

Österreich streitet mit Afghanistan um Abschiebestopp

Botschafterin Manizha Bakhtari wird ins Außenministerium von Alexander Schallenberg einbestellt.
Botschafterin Manizha Bakhtari wird ins Außenministerium von Alexander Schallenberg einbestellt.(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Botschafterin Bakhtari ersuchte um einen Abschiebestopp für afghanische Asylwerber. Die Situation für Rückkehrer sei derzeit sehr gefährlich. Eine Aussetzung von Abschiebungen stehe für das Innenministerium aber nicht zur Debatte.

Nach ihrer Forderung an Österreich und andere europäische Länder nach einem verlängerten Abschiebestopp für abgewiesene afghanische Asylwerber, ist die afghanische Botschafterin in Wien, Manizha Bakhtari, ins Außenministerium einbestellt worden. Man sei "überrascht" über die Aussagen Bakhtaris, "nachdem es erst vergangene Woche anderslautende Signale gegeben hatte", teilte das Ministerium am Freitag mit.

Bakhtari ersuchte Europa in einem Interview im Ö1-Radio Freitagfrüh um einen verlängerten Abschiebestopp für afghanische Asylwerber mit negativem Bescheid über Oktober hinaus. Bereits im Juli hatte die Regierung in Kabul gebeten, Rückführungen für drei Monate auszusetzen. "Wir sind nicht in der Lage, Abgeschobene aufzunehmen", sagte die Diplomatin mit Verweis auf die Sicherheitslage, die sich seit dem Abzug der Nato-Truppen aus dem Krisenland zunehmend verschlechtert.

„Kein Abschiebestopp nach Afghanistan geplant"

Eine Aussetzung von Abschiebungen stehe nicht zur Debatte, so eine Sprecherin des Außenministeriums am Freitag. Österreich habe dies auch in einem aktuellen gemeinsamen Schreiben von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) mit den Innenministern Belgiens, Dänemarks, Deutschlands, Griechenlands und den Niederlanden an die Europäische Kommission festgehalten. Die Vertreter des Innen- und Außenministeriums würden der Botschafterin in dem für den Nachmittag geplanten Gespräch im Außenamt den österreichischen Standpunkt "noch einmal klar darlegen".

"Vonseiten Österreichs ist kein Abschiebestopp nach Afghanistan geplant", hieß es bereits am Donnerstag aus dem Innenministerium. Aus Berlin hieß es, ein am Dienstag kurzfristig abgesagter Abschiebeflug werde "zeitnah" nachgeholt. Der Flug aus München war am Dienstagabend wegen der Gewalteskalation in Kabul abgesagt worden. Dem Vernehmen nach sollte der Flieger in Wien landen und dort zwei abzuschiebende Afghanen aufnehmen. Die Teilnahme am Flug sei abgesagt worden "aufgrund der Mitteilung des deutschen Innenministeriums, dass Afghanistan derzeit bei Charteroperationen keine bilateralen Kooperationen akzeptiere und deshalb keine Landegenehmigung erteile", so ein Sprecher am Donnerstag.

Taliban auf dem Vormarsch

Zuletzt hatte sich die Sicherheitslage in Afghanistan zugespitzt. Seit Beginn des Komplett-Abzugs der internationalen Truppen Anfang Mai haben die militant-islamistischen Taliban weite Teile des Landes, vor allem im ländlichen Raum, unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen Tagen verlagerten sich die Gefechte zunehmend auf Städte.

Die Taliban hätten seit April mehr als 5500 Anschläge verübt und terrorisierten die Bevölkerung in den Gebieten, die sie erobert haben. "Sie haben Hände abgeschlagen, sie haben geköpft und Frauen gesteinigt", berichtete Bakhtari. Die Taliban hätten Frauen befohlen, zu Hause zu bleiben und das Haus nur in männlicher Begleitung zu verlassen. Und sie hätten alle Mädchenschulen geschlossen. Die jüngste Eskalation habe außerdem zu einem massiven Anstieg von intern Vertriebener geführt. "Wir können schon sie nicht mit Essen, Unterkunft und anderem unterstützen."

Dass die Taliban die Macht im gesamten Land übernehmen könnte, glaubt die afghanische Botschafterin in Wien nicht. Dazu fehlten ihnen die "intellektuellen Fähigkeiten", sagte sie im Ö1-Mittagsjournal. Auch hätten sie keine wirtschaftliche Mission, sie wollten "nur ihre ideologischen Motive für Afghanistan". Aber: "Taliban sind Realität in Afghanistan", sprach sich Bakthari für Verhandlungen mit den Islamisten aus. "Es ist unser Wille, dass sie Teil der Regierung und Teil des Systems werden." Doch es gebe auch rote Linien: "Wir wollen die demokratischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte nicht aufgeben", betonte die vierfache Mutter, die an der Universität Kabul Journalismus lehrte.

„Es herrscht Krieg"

Die Situation für Rückkehrer bzw. abgeschobene Asylwerber sei derzeit sehr gefährlich, erklärte sie. "Wenn sie (die Geflüchteten, Anm.) zurückkommen, würden wir ihre Leben aufs Spiel setzen. Es herrscht Krieg. Wir bitten, dass unsere europäischen Freunde diese Situation mitbedenken", appellierte Bakhtari. Auch die UNO hatte zuletzt die steigende Zahl an zivilen Opfern beklagt. Sobald mehr Stabilität herrsche, "wäre es wieder an der Zeit, Rückkehrer aufzunehmen", sagte Bakhtari. Aktuell fehlten aber Kräfte und Ressourcen, für diese Menschen Unterkünfte und Hilfe zu organisieren, so die Diplomatin.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte - mit Verweis auf die Sicherheitslage in Afghanistan - zu Beginn der Woche mittels einstweiliger Verfügung die geplante Abschiebung eines abgelehnten Asylwerbers aus Österreich gestoppt. Im Innenministerium in Wien wurde der Spruch aber nur als Einzelfallbewertung und nicht als "pauschales Verbot" für Abschiebungen von Afghanen betrachtet. Auch die Absage des Flugs am Dienstag stehe nicht in Zusammenhang mit dem Urteil des Straßburger Gerichts, wurde betont. Bezüglich zukünftiger Rückführungen gebe es seitens des Innenministeriums und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) "eine laufende Beobachtung der aktuellen Situation sowie eine Anpassung der Planung an etwaige Entwicklungen", hieß es am Donnerstag.

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hatte bereits nach dem ersten Ersuchen Kabuls nach Aussetzen der Abschiebungen alle Staaten dazu aufgerufen, bei der Abschiebung von abgelehnten Asylsuchenden, die alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, "ganz besondere Vorsicht walten zu lassen".

Mitte Juli warnte das UNHCR angesichts steigender Zahlen von Flüchtlingen und Vertriebenen vor einer humanitären Krise in Afghanistan. Rund 270.000 Afghanen sind demnach seit Anfang des Jahres zusätzlich im eigenen Land vertrieben worden. Insgesamt sind damit mehr als 3,5 Millionen Menschen im Land auf der Flucht. Weltweit zählte das UNHCR im vergangenen Jahr rund 2,6 Millionen afghanische Flüchtlinge, die Mehrheit von ihnen beherbergt Pakistan und der Iran.

Zur Person

Manizha Bakhtari ist seit Jänner Botschafterin Afghanistans in Wien und folgte damit auf Khojesta Fana Ebrahimkhel. Von 2009 bis 2015 war sie bereits diplomatische Vertreterin ihres Landes für die nordischen europäischen Länder, davor war sie im Außenministerium in Kabul tätig. Vor ihrer diplomatischen Karriere lehrte Bakthari Journalismus an der Universität in Kabul und schrieb zahlreiche Bücher. Außerdem arbeitete sie im Non-Profit-Sektor im Bereich Frauenrechte, für die sie sich bis heute - teils gegen Regierungslinie - einsetzt.

(APA)

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