Kickl ließ Überwachungsstaat prüfen

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Groß angelegte, geheime Lausch- und Spähangriffe, heimliches Eindringen in Wohnungen: Ex-Innenminister Herbert Kickl ließ im Zuge der BVT-Reform umfangreiche Polizeimaßnahmen prüfen. Interne Juristen nannten die Pläne verfassungswidrig.

Gegen Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sind im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) weitere Vorwürfe aufgetaucht. Der freiheitliche Minister hätte den polizeilichen Nachrichtendienst nicht nur umbauen wollen, er hegte offenbar auch Pläne für eine Art Überwachungsstaat. Das berichtete die "Kronen Zeitung" unter Berufung auf einen BVT-Reformbericht.

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Bei dem zitierten Bericht handelt es sich laut einem Sprecher des Innenministeriums um den Bericht einer Arbeitsgemeinschaft aus der von Kickl damals eingesetzten BVT-Reformgruppe. Im Rahmen dieser Reformgruppe hätten sich mehrere Arbeitsgruppen mit verschiedenen Themen beschäftigt, hieß es am Freitag. Auszüge aus dem Bericht deuten darauf hin, dass es sich hierbei um das "Projekt Evaluierung BVT" gehandelt hat. Im Endbericht dieser Arbeitsgruppe werden die Pläne des damaligen Innenministers von der Rechtsabteilung des BVT bewertet.

Überwachung ohne richterliche Genehmigung

Dem Endbericht zufolge ließ Kickl groß angelegte Lausch- und Spähangriffe prüfen, schreibt die "Kronen Zeitung". Als Teil davon werden geheime Durchsuchungen, das heimliche Eindringen in Wohnungen, Räume und Fahrzeuge zum Zweck der Installierung von Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten genannt. "Geheim" und "heimlich" bedeutet in diesem Fall ohne die richterliche Genehmigung, die man derzeit für derartige Vorhaben benötigt. Außerdem soll Kickls Projekt zum Ausbau der Machtbefugnisse Pläne zur Vorratsdatenspeicherung und verdeckte Inhaltsüberwachungen beinhaltet haben.

Die eigenen Rechtsexperten haben in ihrer Evaluierung jedoch vor solchen Eingriffen in die Privatsphäre gewarnt. Sie bewerteten die Pläne dem Bericht zufolge als "nicht umsetzbar", "bedenklich" und sogar "verfassungswidrig". Außerdem sei bei einigen Plänen die "Verhältnismäßigkeit fraglich", urteilten die Experten. All diese Argumente nutzte Kickl nun als Verteidigungslinie, indem er laut "Kronen Zeitung" sagte, aus dem Bericht gehe doch hervor, dass die Maßnahmen nicht umsetzbar waren.

Neos: „Kickl Gefahr für liberale Demokratie“ 

Erbost reagierte der stellvertretende Neos-Klubobmann Nikolaus Scherak auf die Dokumente aus dem BVT-Endbericht. "Herbert Kickl ist eine Gefahr für unsere liberale Demokratie", sagte er in einer Aussendung. "Es ist unfassbar, welche brandgefährlichen Machenschaften da unter der FPÖ-Herrschaft im Innenministerium vonstatten gingen. Wenn sogar die internen Rechtsexperten angesichts der bevorstehenden, groß angelegten Lausch- und Spähangriffe die Notbremse ziehen, dann ist wirklich Feuer am Dach."

Scherak warnte davor, dass mit einer Fortsetzung der türkis-blauen Regierung der Überwachungsstaat nicht mehr nur böse Illusion sein könnte. "Wer Kurz wählt, bekommt Kickl und lädt diesen damit in seine privatesten Lebensbereiche ein", sagte er. Die Neos erachten die kolportierten Pläne als verfassungswidrig und brachten daher eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zum türkis-blauen Überwachungspaket ein.

SPÖ: „Blaue Stasi“ 

Dass die von Kickl geplante "blaue Stasi" ohne das Ibiza-Video und seine Folgen bereits Realität wäre, stellte der SPÖ-Fraktionsführer im BVT-Untersuchungsausschuss, Jan Krainer, am Freitag fest. Mit 1. Juli wäre der von Kickl geplante "blaue Geheimdienst im Geheimdienst" mit rund zwei Dutzend Mitarbeitern operativ tätig geworden, sagte er in einer Aussendung. Die SPÖ hätte im Zuge des BVT-U-Ausschusses stets vor den Überwachungsstaatsfantasien des blauen Innenministers gewarnt, der ÖVP sei das gleichgültig gewesen, kritisierte Krainer.

"Nicht wegen dieser demokratiepolitisch mehr als bedenklichen Pläne Kickls, sondern einzig und alleine, weil sie die Chance witterte, wieder selbst das Innenministerium zu übernehmen, beendete die ÖVP diese Koalition", so der SPÖ-Politiker.

Pilz will Pläne des Innenressorts sehen

Auch Peter Pilz von der Liste Jetzt sah sich nach Veröffentlichung der Pläne Kickls in seiner Wahrnehmung bestärkt: "Massenüberwachungen, Ausschaltung der richterlichen Kontrolle, Parteispitzelsysteme - das sind totalitäre Überwachungsinstrumente, die in einem Rechtsstaat nichts verloren haben", so Pilz. Er forderte Innenminister Wolfgang Peschorn auf, die Pläne zum Aufbau eines Kickl-Überwachungsstaates vorzulegen.

Pilz möchte wissen, wie weit FPÖ-Chef Norbert Hofer "in die FPÖ-Stasipläne eingeweiht" war. Sollte es keine befriedigende Antwort auf diese Fragen geben, werde er am Montag ein Verlangen auf Ergänzung der Tagesordnung des kommenden Nationalen Sicherheitsrats an die Bundeskanzlerin senden. "Dann werden wir dort die Bundesregierung beraten, wie Österreich vor einer FPÖ-Stasi geschützt werden kann", sagte er.

Die Grünen forderten indes, das Innenministerium künftig frei von ÖVP- und FPÖ-Netzwerken zu halten. "Jetzt ist auch klar, wieso der aktuelle Minister Peschorn auf eine sofortige Reform des BVT drängt: Die Überwachungsfantasien von Kickl sind weiterhin eine Gefahr für die nationale Sicherheit", sagte Ewa Ernst-Dziedzic, grüne Bundesrätin und Kandidatin zur Nationalratswahl, in einer Aussendung. „Wer in einem demokratischen Staat groß angelegte Späh- und Lauschangriffe plant, hat jedes Vertrauen verspielt.“ In Zukunft müsse es ein Innenministerium geben, "das im Interesse der Menschen handelt und nicht im Würgegriff der beiden Regierungsparteien".

FPÖ: BVT hat Reformbedarf

Die FPÖ wehrte sich am Freitag gegen die "Skandalisierungspropaganda, wonach Innenminister Herbert Kickl quasi im Alleingang und, so wird suggeriert, auch 'höchstpersönlich' irgendwelche Büros, Wohnungen oder Autos verwanzen wolle", so der freiheitliche Sicherheitssprecher Hans-Jörg Jenewein.

"Verschwörungstheorien zum Zwecke der Skandalisierung werden einerseits die Republik nicht sicherer machen und auf der anderen Seite auch die Notwendigkeit einer umfassenden Reform des österreichischen Nachrichtendienstes nicht in Frage stellen können", sagte Jenewein. Eine solche werde von vielen nationalen und internationalen Experten ausdrücklich gefordert und unterstützt, meinte er.


>> zum Bericht der „Kronen Zeitung“ (mit Auszügen aus Dokumenten)

(APA)

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