Pop

Rammstein: "Da wartet Spaß im Tiefgeschoß"

Fotografen lassen Rammstein bei ihren Konzerten nur unter strengen Restriktionen zu
Fotografen lassen Rammstein bei ihren Konzerten nur unter strengen Restriktionen zu(c) Universal Music/Paul Brown
  • Drucken

Die deutsche Band Rammstein präsentierte in der Wiener Stadthalle ihr neues Album „Liebe ist für alle da“, das unlängst als „jugendgefährdend“ indiziert wurde. „Die Presse“ sprach mit Gitarrist Richard Z. Kruspe.

Noch der schauerlichste Volkstribun hat eine Mama. Die von Till Lindemanns machte ihre Sorgen in einem Magazin öffentlich: „Der Dompteur auf der Bühne ist mein Sohn. Er dirigiert die Massen mit einer Handbewegung, er schlägt sich die Stirn wund, er brennt, er jagt seine rollende Stimme durch Raum und Zeit. Was für eine Verantwortung. Für all diese Menschen, die ihm begeistert zujubeln und ihm folgen würden, wohin er sie auch führen würde. Da hab ich Angst um ihn. Was tut er sich an, welche Überwindung muss es ihn kosten, sich so auszuliefern.“

Ja, es ist nicht leicht, wenn man für eine Firma arbeitet, die Rammstein heißt und zum Konzern „Neue Deutsche Härte“ gehört und weltweit zur Grusel-Metall-Oper in Bierdunst und Feuerwand lädt. Um 21.40 Uhr war es am Samstag in Wien so weit: Die Gitarristen hackten sich durch eine dünne Ziegelwand hin zu den Massen. Sänger Lindemann wählte einen komfortableren Einstieg: Er plumpste durch eine Stahltür, bewegte sich bedrohlich wie eine urzeitliche Echse und startete sein Volkserziehungsprogramm der anderen Art mit dem „Rammlied“, einem clever aus religiösem Singsang und brutalem Rockriff gezimmerten Ohrwurm.

„Manche führen, manche folgen, böse Miene, gutes Spiel...RRRRAMMSTEIN.“ Ja, da war es wieder das niedlich rollende R und die ins Groteske verzerrten Vokale. Bei den zirka 15.000 Fans kam ein erstes Gefühl von Heimat auf, weil sich in der Alptraumbilderwelt Lindemanns mannigfaltige Formen von lustvoller Beklemmung einstellen. Was da an scharfen Gitarrenriffs und in die Eingeweide fahrendem Gebrüll von der Bühne kam, legte den Verdacht nahe, dass man als Fan nicht bloß ein gewisses Maß an Duldungsstarre aufbringen, sondern auch fähig sein muss, sich jubilierend ins blitzende Messer dieser schwarzen Industrial-Messe zu werfen.

Gitarrist Richard Z. Kruspe, ein freundlicher, sanfter Mann abseits der Bühne, deutet anders: „Ich sehe es weniger als Lust am Horror. Tills Texte sind voller Romantik, für mich ist da viel Schönheit in der Dunkelheit. Ich baue mir damit meine Welt zusammen.“ Das taten die Fans mit der ihnen eigenen Lust an der Züchtigung wohl auch. Viereinhalb Jahre waren Rammstein nicht auf Tour, da war die Sehnsucht nach den Blut- und Feuerspielen beinah ins Unermessliche gewachsen.

„Wiener Blut“ über den Fall Josef F.

Alte Hits wie „Feuer Frei!“ oder „Benzin“ wurden mit geballter Faust mitgesungen, neue noch enthusiastischer willkommen geheißen. Bei „Weißes Fleisch“ schlug Lindemann imaginäre Hinterteile. Ein Spaß, der nicht zu konkret werden darf: Ein Grund, warum das neue Album „Liebe ist für alle da“ auf den Index gesetzt wurde, war das Bild, auf dem Kruspe zum Hieb auf den Hintern einer nackten Frau mit verhülltem Haupt ausholt. Ob der Indizierung zeigte er sich überrascht: „Die Begründung geht für mich nicht mit einer europäischen, sexuell freien Welt zusammen.“

Auf dem neuen Werk schwenkt Rammstein in Richtung nicht mehrheitsfähiger Sexualpraktiken. Die in vielen Ländern derzeit auf Platzeins der Hitparaden stehende Nummer „Pussy“ reizt noch mit eher konventionellen Slogans wie „Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr“. Lieder wie „Wiener Blut“ (über den Fall Josef F.) und „Ich tu dir weh“ driften hingegen in die Welt des Sadomaso ab. Ist was falsch am Blümchensex? „Nein, der ist auch mal schön. Das ist ein kleiner Teil von mir, es gibt aber noch viele andere Aspekte. Ich glaube nicht an Monogamie in Beziehungen. Alles hat seine Zeit, aber das Leben ist zu kurz, um nicht noch neue Blickrichtungen und neue Konstellationen auszuprobieren.“

Warum also nicht ins Kellerverließ? Der barbusige Sänger lockte: „Komm mit mir, komm auf mein Schloß, da wartet Spaß im Tiefgeschoß.“ Ein wenig später hingen geschundene Puppen mit illuminierten Augen auf einer Leine und schaukelten in den Winden der erbarmungslos knüppelnden Musik.

Kruspe zur Rammstein-Ästhetik: „Aufgewachsen bin ich mit Demonstrationen, Märschen und russischem Liedgut. Wenn ich komponiere, brauch ich was Visuelles. Ich habe früher Musik in US-Tradition gemacht, kam mir dabei aber als Imitator vor. Ich bin bewusst zurück in den Osten, um Musik zu machen, die mit meinen Wurzeln zu tun hat.“ Die Herkunft der Musiker ist wohl auch Grundlage ihrer Lust an Provokation. Nach dem Ende der DDR blieb ein Phantomschmerz. Neue Tabus mussten her, an denen man sich reiben konnte. Kruspe: „Die extreme Zensur durch das System hat uns dazu gebracht, nach dem Mauerfall in alle Richtungen zu drängen. Ein Teil von uns ist spontane Naivität, die unglaublich wichtig ist.“

Wohin die bei manchem Fan führen könnten, daran will man gar nicht denken. Am Ende des Abends, u.a. nach der Brecht-Weill-Persiflage „Haifisch“, stand Lindemann mit übergroßen Engelsflügeln auf der Bühne und sang, dass er keinesfalls zu den himmlischen Heerscharen gehören will. Der Einberufungsbefehl wird auf sich warten lassen.

Zur Band

Rammstein provozieren seit den Anfängen (gegr. 1994), kommentieren ihren Stil aber kaum. Laut Kritiker spielt die Band mit faschistischem Gedankengut, andere meinen, sie enttarne dessen Inszenierung gerade. Das aktuelle Album „Liebe ist für alle da“ ist – weltweit – außergewöhnlich erfolgreich. Das Pornomusikvideo zur Single „Pussy“ wurde schon vorab zum „Skandal“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.