Sängerin Milva im Interview: „Berlusconi ist zerbrechlich“

(c) EPA (Soeren Stache)
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Milva besucht als Dürrenmatts „Alte Dame“ ab Samstag Reichenau. Wie die Italienerin den deutschen Text bewältigte und was sie von Silvio Berlusconi hält.

Was für eine Tortur! Sollte man meinen. Kommenden Samstag (4.Juli) eröffnet die italienische Sängerin und Schauspielerin Milva die Festspiele Reichenau als Dürrenmatts Milliardärin. Da sie nicht Deutsch spricht, musste sie den Text Wort für Wort lernen, samt Betonung.

Am 17.Juli feiert Milva immerhin ihren 70. Geburtstag. Warum hat sie sich das angetan? Nun, es ist auch eine Portion Show hinter den Geschichten, die man sich von Milvas Vorbereitungen auf ihre Rolle in Reichenau erzählt. Denn natürlich versteht sie Deutsch, hat auch viel auf Deutsch gesungen. Eine repräsentative Auswahl ihrer Chansons kann man im Internet auf Youtube hören.

„Manchmal bin ich glücklich, manchmal bin ich sehr müde“, klagt der Star im Gespräch mit der „Presse“: „Meine Stimmung schwankt. Ich wollte in Zukunft sehr viel weniger arbeiten, weil 50 Jahre, das ist doch einfach genug! Aber dann kam das Angebot mit dem Dürrenmatt, und ich war so fasziniert. Ich habe den Text ein Jahr lang studiert.“ Vor Probenbeginn hat sie sogar eine CD nach Reichenau geschickt, damit Regisseur Alfred Kirchner und die Intendanten Peter und Renate Loidolt entscheiden konnten, ob sie es schafft. Kirchner war angetan. Ein Profi ist eben ein Profi.

„Mit Italien geht es seit Jahren bergab“

Italien sorgt seit geraumer Zeit für negative Schlagzeilen: Affären des Ministerpräsidenten, Sparpakete für die Kultur, Wirtschaftskrise. Milva, „La Rossa“ genannt, nicht nur ihrer leuchtend roten Mähne wegen, seufzt: „Mit Italien geht es schon seit 20 Jahren bergab. Dabei hat dieses Land den größten Reichtum an Kultur im Verhältnis zu seiner Größe. Amerika, Deutschland, jedes andere Land hätte etwas Großartiges daraus gemacht. In Italien ist das leider nicht möglich. Berlusconi ist sehr reich. Welcher Ministerpräsident hat TV-Stationen? Überall anders wäre das mit so einer Position unvereinbar. Berlusconi gibt sich immer sehr stark. Er spielt den Klassenprimus. In Wahrheit ist er ein sehr zerbrechlicher Mensch und, wie seine Frau richtigerweise sagt, krank. Ich kannte ihn, als er sehr jung war. Seine jetzige Frau war Schauspielerin, sie hat gespielt, mehr nackt als bekleidet. Aber sie ist eine Persönlichkeit geworden. Sie ging auf die Universität, hat die drei Kinder aufgezogen. Mit der Zeit hat sie begriffen, dass sie ihren Mann nicht ändern kann. Das ist so eine Geschichte wie mit Clinton und Monica Lewinsky.“ Eine Affäre, deren rigide Behandlung Europäer irritierte.

„Berlusconi ist ein großer Lügner“

„Clinton wurde ja nicht der Prozess gemacht wegen dieser Affäre, sondern weil er gelogen hat. Berlusconi ist auch ein großer Lügner. In jedem anderen Land hätte er zurücktreten müssen. Aber bei uns: Das Parlament bewundert ihn. Die Italiener sind fasziniert von diesem reichen Mann, der an der Macht ist. Ich finde das sehr schlimm.“

Dürrenmatt wählt eine alte Milliardärin zum Sinnbild des bösen Kapitalismus. Wirkt das nicht für heutige Anschauungen befremdlich, sind doch hauptsächlich Männer die Mächtigen in der Wirtschaft? „Claire Zachanassian ist durch die Männer so geworden, wie sie ist. Sie nimmt sich Partner und wirft sie wieder hinaus. Sie macht ihren Rachefeldzug. Das Geld interessiert sie hauptsächlich deshalb, weil sie mit seiner Hilfe zum Ziel kommt. Sie kann ihr ganzes ehemaliges Heimatdorf einfach kaufen. Sie würde auch helfen mit ihrem großen Vermögen, aber nur, wenn ihr größter Feind, ihr ehemaliger Geliebter, umgebracht wird. Schließlich hat sie ein Kind verloren und konnte keines mehr bekommen.“ Hat sie den Ill geliebt?

„Ganz ohne Zweifel! Ihre anderen Männer nicht. Die waren ihr nur Mittel zum Zweck. Sie musste aber doch einen gewissen Charme haben, wenn neun oder zehn Männer sie gleich heiraten wollten.“ Wäre ein Rachefeldzug wie jener der „alten Dame“ denkbar für Milva? „Nein, nein“, sagt sie ganz entschieden. „Ich könnte für niemanden Rachegefühle entwickeln. Keine Vendetta, das kommt für mich nicht in Frage!“ Schwer vorstellbar, hat nicht auch sie Enttäuschungen erlebt? „Ich bin jetzt alleine, und es geht mir gut damit. Ich könnte mir nicht vorstellen, noch einmal zu heiraten. Ich habe einmal geheiratet, als ich sehr jung war, mit 21. Mein Mann war älter als ich. Wir haben eine gemeinsame Tochter. Sie ist jetzt 45. In meiner Familie dominieren die Frauen. Meine Tochter hat studiert und ist Kunstkritikerin. Sie unterrichtet außerdem an der Kunsthochschule in Turin. Sie wollte nie heiraten, hat keine Kinder. Ich bin sehr stolz auf sie. Meine Schwester ist jetzt 67, hat auch nie geheiratet. Einmal hat sie gesagt, nur ein intelligenter Mann käme für sie in Frage. Einer wie Claudio Magris. Mein Mann und ich haben uns getrennt. Er ist inzwischen gestorben. In meinem Alter könnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit jemandem zusammenzuleben. Ich brauche mein Umfeld, meinen Platz für mich alleine. Ich möchte das nicht mit einem Mann teilen.“

Im Alter ganz die Alte

Was macht sie, wenn sie nicht arbeitet? „Das kommt selten vor. Meistens plane ich eine Tour, oder ich bin auf einer. Heuer habe ich auch schon Theater gespielt: ,Die Lüneburg Variante‘ von Paolo Maurensig. Das Stück handelt vom Holocaust. Eine Zeitlang konnte ich dieses Jahr nicht arbeiten, weil ich krank war. Das hat mir sehr zugesetzt. Wenn ich nicht arbeite, versuche ich zu schlafen, mich zu sammeln, positive Gedanken zu haben. Das fällt mir nicht leicht. Ich finde die Welt, die mich umgibt, negativ. Dieses schlechte Wetter heuer – was hat das zu bedeuten? Die Menschheit zerstört die Erde.“

Hat Sie keine Angst vor der Premiere? „Doch natürlich, ein bisschen schon. Aber: Es ist mein Charakter, die Dinge einfach anzupacken. Das mag manchmal ein bisschen crazy wirken, aber ich bin so. Ich denke da nicht lange nach. Ich habe ja auch Giorgio Strehlers Angebot, Brecht mit ihm einzustudieren, sofort angenommen. Das ist meine Natur. Ich bin jetzt zwar schon älter, aber in dieser Hinsicht bin ich eben ganz die Alte!“ Viele 70-Jährige wären begeistert, wenn sie aussähen wie die Diva. Milva richtet einen scharfen Blick aus ihren großen Augen auf die Gesprächspartnerin und meint leicht ironisch: „Ja, ja. Man sieht das Alter zwar nicht auf den ersten Blick. Aber man weiß es. Und mit der Zeit sieht man es auch.“

Zur Person

Milva wurde 1939 als Maria Ilva Biolcati in Goro bei Ferrara geboren. Die Mutter war Schneiderin, der Vater Fischhändler. Milva musste früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, trat in Nachtclubs auf. 1959 gewann sie einen Talentewettbewerb der RAI. Insgesamt brachte sie rund drei Dutzend Alben heraus. Mitte der 80er spielte Milva in Paris die Jenny in Brechts „Dreigroschenoper“ in der Regie Giorgio Strehlers.

Ab 4. Juli spielt Milva bei den Festspielen Reichenau Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, ihr Ill ist Martin Schwab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2009)

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