Fotografien aus der Hölle

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Darf der Holocaust abgebildet werden? Georges Didi-Hubermans Buch „Bilder trotz allem“ löste in Frankreich heftige Kontroversen aus. Im IFK diskutieren am Mittwoch Experten über das Thema.

Um zu wissen, muss man sich ein Bild machen. Wir müssen versuchen, uns ein Bild davon zu machen, was im Sommer 1944 die Hölle von Auschwitz gewesen ist. Berufen wir uns nicht auf das Unvorstellbare.“ Mit diesen Worten beginnt Georges Didi-Hubermans Buch „Bilder trotz allem“. Das Werk ist Kampfansage, Verteidigungsrede und wissenschaftliche Abhandlung zugleich: Voyeurismus, Antisemitismus, Revisionismus, Fetischismus und ein Verstoß gegen das jüdische Bilderverbot waren Huberman nach einem Aufsatz vorgeworfen worden, der 2000 im Katalog zur Ausstellung „Mémoire de camps. Photographies des camps de concentration et dèxtermination nazis 1933–1999“ (Erinnerung an die Lager. Fotografien der Konzentrations- und Vernichtungslager der Nazis) erschien. Im Zentrum des Streits stehen vier Fotografien, die in der Ausstellung zu sehen waren und jetzt auch im Buch abgebildet sind: Jüdische Häftlinge haben sie im Sommer 1944 im KZ Auschwitz in einer überaus gewagten Aktion gemacht und in einer Zahnpastatube aus dem Lager herausgeschleust.

„Es gibt kein Bild der Shoah“

Huberman rekonstruiert minuziös die Wege und die Überlieferung der Fotografien, er bezeichnet sie als kostbare Dokumente, auch weil sie die einzigen Fotos sind, die nicht von den Tätern aufgenommen wurden. Für seine Beschäftigung mit den Fotos wurde er vom Filmemacher Claude Lanzmann und zwei Autoren aus dessen Umfeld scharf angegriffen. Es gebe kein Bild der Shoah, sagte Lanzmann in einem Interview; gäbe es aber Filmaufnahmen aus dem Inneren der Gaskammern, würde er diese Bilder auf der Stelle vernichten.

Hinter dieser Haltung steht offenbar die Überzeugung, dass es Ereignisse gibt, die sich der bildlichen Darstellung entziehen. Eine Haltung, die auch in Lanzmanns Film „Shoah“ deutlich wird. Dieser kommt ohne Archivbilder aus, die Geschichte wird ausschließlich mit Zeitzeugeninterviews rekonstruiert. Der Film dauert neun Stunden und will sich schon dadurch einem oberflächlichen Konsum entziehen.

Was ist dran an den beiden Argumentationslinien? Wieso spaltete der Streit in Frankreich die Intellektuellen? Und wieso blieben ähnliche Debatten in Österreich und Deutschland aus? Über diese Fragen diskutieren heute, Mittwoch, drei Experten im IFK: der Kunsthistoriker und Übersetzer des Buches Peter Geimer (ETH Zürich), der Fotohistoriker Anton Holzer (Wien) und die Philosophin Karoline Feyertag (Wien). Im Gespräch mit der „Presse“ halten Huberman alle drei eines zugute: Dass er die Umstände, unter denen die Fotos entstanden sind, genau recherchiert hat, dass er die Bilder in einen Kontext bringt. „Huberman bringt die Bilder in die Philosophie hinein“, sagt Feyertag, „er analysiert sie nicht bloß, er fragt auch: Wie gehen wir damit um?“ Der Vorwurf, er würde die Bilder zu Ikonen machen, in ihnen ein stellvertretendes Bild der Shoa sehen, gehe ins Leere, so die Philosophin. „Huberman sieht es als eine moralische Verpflichtung an, die Bilder ernst zu nehmen, sie als Dokumente der Erinnerung zu zeigen. Es ist ihm gelungen, sie auch in den richtigen Kontext zu stellen.“ Ähnlich sieht das Holzer: „Die Bilder wurden von jüdischen Häftlingen gemacht, die zum ,Sonderkommando‘ gehörten, die also die Aufgabe hatten, die Gaskammern zu bedienen. Die Nazis haben streng darauf geachtet, dass die Gaskammern bilderlos bleiben. Die Häftlinge haben beim Fotografieren ihr Leben riskiert. Sie wollten, dass sie in die Welt hinausgehen. Dass die Fotos von Opfern stammen, ist ein ganz wichtiger Aspekt in der Debatte. Zwei Bilder wurden aus der Gaskammer heraus gemacht – das sieht man am schwarzen Rahmen. Früher wurden die Bilder ohne diesen Rahmen gezeigt, man sagte, der störe nur. Huberman sagt, dass gerade der Rahmen wichtig ist, um den Kontext zu verstehen, um zu begreifen, in welcher Situation das Bild entstanden ist.“

Unschärfe erhöht Authentizität

Eines der Fotos ist sehr verwackelt, unscharf erkennt man darauf Bäume. Gerade deshalb sei es interessant, meint Geimer. „Die Unschärfe erhöht die Authentizität. Wie die Bäume in Birkenau aussahen, das hat kaum Erkenntniswert. Aber aus dem Foto lässt sich die Angst und die Lebensgefahr ablesen, unter der die Fotografen standen. Für Huberman sind die Fotografien Spuren, sie gehören zu den wenigen Objekten, die uns an die Zeit erinnern – so wie Zähne, Haare oder andere Gegenstände von Häftlingen.“

Die Diskussion um die Bilder wurde in Frankreich auch deshalb so heftig, ja aggressiv geführt, weil sie viele brisante Fragen hervorrufen. Etwa: Wie kann man erinnern, wenn die Zeitzeugen sterben? Verletzen die Bilder die Intimsphäre der Fotografierten? (eines der Fotos zeigt nackte weibliche Häftlinge). Wo ist die Grenze zwischen Breitenwirksamkeit und Sensationalismus?

„Für Huberman ist das dogmatische Bilderverbot Lanzmanns eine zu bequeme Position. Er sieht eine Dialektik zwischen Wort und Bild, sagt, dass man Bilder mit Zeitzeugenberichten konfrontieren solle“, berichtet Feyertag. „Die Frage ist, wie wir uns im Abstand von 60, 70 Jahren ein Bild vom Holocaust machen. Ich glaube sehr wohl, dass die Fotografie hier eine wichtige Rolle hat. Allerdings wurden Fotos allzu lange als unschuldige Dokumente der Wirklichkeit gesehen. Huberman zeigt, dass Fotos eben nicht simple Beweisstücke sind“, sagt Holzer. Was jedenfalls nicht passieren dürfe: „Dass man mit Blick auf die vier Bilder vergisst, dass der Holocaust nicht nur in den Gaskammern stattgefunden hat, dass es auch jahrelange Vorbereitungen und zahlreiche Schreibtischtäter gab.“

BUCH, WORKSHOP

Georges Didi-Hubermans „Bilder trotz allem“ (Original „Images malgré tout“, 2003)ist auf Deutsch 2007 im Wilhelm Fink Verlag erschienen.

Das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK, 1, Reichsratsstraße 17) widmet dem Thema heute, Mittwoch, 15 bis 19 Uhr, einen Workshop.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2008)

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