Franzobel: So rasch wird man zum Monster

'Ein ziemlich verrückter Hund': Martin Semmelrogge spielt in Franzobels Drama 'zipf', das am Donnerstag, in Wolfsegg am Hausruck Premiere hat, den SS-Offizier Adonis Schöpperle.
'Ein ziemlich verrückter Hund': Martin Semmelrogge spielt in Franzobels Drama 'zipf', das am Donnerstag, in Wolfsegg am Hausruck Premiere hat, den SS-Offizier Adonis Schöpperle.(c) APA (Reinhard Müller)
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Franzobel über sein Drama "zipf", das ein fast vergessenes Kapitel der Nazizeit in Oberösterreich zeigt.

Die Presse: Sie arbeiten Zeitgeschichte auf, die langsam Geschichte wird. Wie kam es zu der Idee, eine Dramentrilogie daraus wachsen zu lassen? Nach „hunt“ vor zwei Jahren, das im Jahr 1934 spielt, und „zipf“ im heurigen Jahr über den Zweiten Weltkrieg soll 2009 ein weiteres Stück über Ihre Heimatregion folgen.

Franzobel: Das hat sich eher zufällig durch den Erfolg bei „hunt“ ergeben. Zuerst bin ich noch bei den Recherchen für „hunt“ auf die Ereignisse in Zipf gestoßen. Ich bin ja in unmittelbarer Umgebung aufgewachsen und wusste nichts von den Raketentriebwerksversuchen, vom KZ-Nebenlager, davon, dass man den Ort ganz schwarz angemalt hat. Und dann hat bei der „hunt“-Premiere noch jemand im Scherz gemeint, jetzt müsse man eine Trilogie machen...

Worum geht es in „zipf“?

Franzobel: Es geht um den beschaulichen Ort Redl-Zipf, dessen Brauerei von den Nazis für Raketentriebwerksversuche beschlagnahmt wird. Man errichtet ein KZ, die Häuser müssen schwarz angemalt werden. Im Mittelpunkt steht ein Bierbrauer, der sich erst nach der großen Welt sehnt, dann aber von den Ereignissen überrollt wird, sich in die Tochter eines Raketenpioniers verliebt, bald als KZ-Aufseher in seiner eigenen Brauerei Dienst schieben muss. Es geht um Bewohner, die sich auf ihre Art gegen das System auflehnen, um einen KZ-Häftling, der in einer wahren Köpenickiade in einer SS-Uniform flieht, später gefangen und gesotten wird. An Redl-Zipf zeigt sich das Schicksal einer kleinen Gemeinde, die unter die Räder der großen Geschichte kommt.

Was sind Ihre Quellen? Wie stark hat sich die Bevölkerung von Zipf engagiert?

Franzobel: Ich konnte mit vielen Zeitzeugen, ein schreckliches Wort, aber mir fällt kein besseres ein, sehr intensive, sehr persönliche Gespräche führen. Das ist eine berührende, spannende Arbeit und hat mir ungemein geholfen. Vor 20 Jahren wollte die Brauerei vom KZ-Nebenlager absolut nichts wissen und hat in dieser Frage völlig zugemacht, nun hat man erkannt, dass dies eine Chance ist, mit der eigenen Vergangenheit ins Reine zu kommen. Es gab Vorbehalte, aber wenig Widerstände.

Die Stoffe sind tiefernst. Ihre Texte aber sind sehr sprachverspielt und auch ironisch. Wie verträgt sich das Tragische mit der Komik?

Franzobel: Für mich ist das der einzig mögliche Zugang. Ich will kein Betroffenheits-, sondern ein Volkstheater im besten Sinne, das kann auf den Humor nicht verzichten. Das ist immer hart an der Grenze, manchmal auch darüber, aber die Tragik der Ereignisse ist an sich so grotesk und skurril, dass mir kein anderer Zugang bleibt, eine völlig neue Form von Erinnerungstheater. Der Erfolg von „hunt“ hat gezeigt, was Theater auch hier alles leisten kann.

Läuft man nicht Gefahr, die NS-Zeit zu bagatellisieren? Wie begegnen Sie dieser Kritik?

Franzobel: Die Gräuel der NS-Zeit sind derart ungeheuerlich und unfassbar, dass man sich ihnen nur über Einzelschicksale nähern kann, über Menschen, die von diesem System zermalmt worden sind, was vielleicht mehr trifft als Statistik. Auch denke ich, es gibt genügend äußerst heftige Szenen, die alles andere denn bagatellisieren.

Welche Dramen, Filme, Romane über die NS-Zeit haben Sie am meisten beeindruckt?

Franzobel: Am meisten wohl die „Holocaust“-Verfilmung im Fernsehen Anfang der 80er-Jahre, weil mich die völlig unvorbereitet getroffen hat. Das war ein Schock der Wahrheit. Ein zweites Erlebnis waren Pasolinis „120 Tage von Sodom“, drittens fällt mir Achternbuschs Hitler-Film ein. Ich schätze auch sehr die Arbeiten von Heimrad Bäcker.

Welche theoretischen Werke zum dunklen 20.Jahrhundert haben Sie geprägt?

Franzobel: Das kann ich so nicht beantworten, weil ja fast jede neuere Philosophie an dieser Thematik herumkiefelt. Zuletzt gelesen habe ich LTI von Viktor Klemperer, die Bücher von Hanna Arendt und den Nürnberger Prozess. Was mich immer wieder fasziniert, ist die rasche Monsterwerdung der Normalbürger, die Täter-Opfer-Frage – eine äußerst heikle Problematik, ein echtes Tabu.

Ihr Drama hat auch ein faustisches Element. Mögen Sie Walpurgisnächte?

Franzobel: Ja. Sehr. Ich habe zumindest literarisch eine Vorliebe für das Dionysische, Orgiastische, die Ausschweifung.

Wer spielt bei Ihnen den Mephisto?

Franzobel: Martin Semmelrogge, das ist ein ziemlich verrückter Hund, eigentlich ein Weltstar, vielleicht auch ein Gescheiterter, in jedem Fall eine irre Persönlichkeit, einer, der in Riesenautos rumkutschiert, ständig durch die ganze Welt jettet, bei Pressekonferenzen aber eine Dose Hundefutter öffnet und den Inhalt einfach so auf den Boden klopft, ein arger Chaot, beim Spielen aber sehr präzise. Eine Idealbesetzung.

Was bedeutet Ihnen der Begriff Heimat? Sind Sie ein Heimatdichter? Ein Chronist?

Franzobel: Heimat ist für mich der Ort und die Sprache der Kindheit. Heimatdichter ist ein sehr belasteter Begriff, aber ich setze mich schon zusehends mit den eigenen Wurzeln auseinander. Mit der Distanz von 20 Jahren, so lange lebe ich nun in Wien, sollte ich frei genug sein, das zu wagen.

Sind Sie ein Dichter, der sich in die Produktion einmischt? Wenn ja, wie sehr beeinflussen Regisseur und Schauspieler Ihr Schreiben?

Franzobel: Ich mische mich gar nicht ein. Während der Proben war ich in Griechenland und leitete einen Schreibkurs auf Zakynthos. Aber es gibt schon Regisseure meines Vertrauens. Georg Schmidleitner ist einer davon, mein wichtigster, dem ich beim Schreiben stets wichtige Anregungen verdanke. Er denkt in ähnlichen Bildern wie ich, da stimmt einfach die Chemie.

Wann gibt es wieder etwas Leichteres von Ihnen zu lesen, etwas Episches oder Lyrisches?

Franzobel: Anfang August erscheint ein neuer Roman von mir: „Liebesgeschichte“, etwas Unpolitisches.

Ein Sommerroman also mit Sehnsucht und Tränen und Strand?

Franzobel: Eher nicht. Mir geht es um den Furor der Liebe, darum, dass die Liebe, diese überholte, altmodische, aber immer noch mächtige Kanaille, alles andere bedeutungslos werden lässt. Wer sich verliebt hat, ist völlig außer Rand und Band, durchgedreht, die Liebe setzt alles außer Kraft, jede Vernunft. Die Liebe ist ein Rausch. Es ist ein sinnlicher, ein sexueller Roman um eine Dreiecksgeschichte, also insofern passt er schon zum Strand, letztlich geht es aber auch um die Liebe zur Schöpfung, die Gottes-Liebe.

THEATER AM HAUSRUCK: Teil zwei der Trilogie Franzobels

Zehnmal wird „Zipf oder die dunkle Seite des Mondes“ in diesem Sommer im Kohlebrecher Wolfsegg nahe Vöcklabruck aufgeführt. Es wirken neben 80 Laien Stars wie Martin Semmelrogge, Julia Cencig, Alexander Strobele und Franz Froschauer mit. Die Dramentrilogie, die 2005 mit „hunt“ begann, will Franzobel 2009 mit „lenz“ abschließen.

Uraufführung: 19.Juli, 21h, Einlass 20h. Weitere Termine: 20.–22., 27.–29.Juli, 3.–5. August. Kontakt: www.theaterhausruck.at.

Franzobel, 1967 in Vöcklabruck, OÖ, geboren, ist als Autor äußerst produktiv. Seit 1990 hat er mehr als zwei Dutzend Bücher, darunter 15 Theaterstücke, veröffentlicht und wurde dafür mehrfach prämiert, etwa mit dem Bachmann- und Schnitzler-Preis, mit der Brecht-Medaille und zwei Mal mit dem Nestroy-Theaterpreis. [APA/Harald Schneider]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2007)

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